LEO KANDL - AUS DEM FUNDUS

"Aus dem Fundus" nennt Leo Kandl seine Arbeiten der letzten Jahre, die sich mit dem Musealen beschäftigen. Eine Serie von Fotografien, "Versatzstücke", setzt sich dabei mit dem Kriegsarchiv, eine andere, "Festtafel", mit einer Vitrine mit Prunkgefäßen im Kunsthistorischen Museum - beide in Wien - auseinander.

 Die Fotografien vom Kriegsarchiv werden als Diptychen oder Triptychen präsentiert, bei manchen Arbeiten wurde in der Dunkelkammer interveniert, geometrische und räumliche Akzente gesetzt. Kombiniert werden abfotografierte Fotos aus dem ersten Weltkrieg, Fotos der Räume, Regale etc., in denen sie heute archiviert sind, und Fotos von Bilderrahmen und einer Statuette aus dem Kunsthistorischen Museum. Es entstehen dabei inhaltlich und formal äußerst vielschichtige Bilder, die die Frage nach der Historie ganz allgemein steuen und ün besonderen die Archivierung der Bilder von Geschichte und den Blick, der darauf heute fällt, zum Thema haben. Die Bilder werden erst durch den Rahmen, in dem sie stehen, durch das System, das der Beobachter benützt, um sie zu betrachten, durch seine Perspektive lesbar. Raumfluchten, weite Horizonte, dicke Goldrahmen, ein verkrampft lächelndes Kindergesicht in Marmor, Bücherregale, Fotos von Wracks - nah und fern, klein und groß, Dokumentation und ArtifizieHes, dies alles fassen diese Bilder zu Tableaus zusammen. Die Interventionen aus der Dunkelkammer sind Erklärungen, und sie stehen zugleich für die blinden Flecken, die systematische Analysen nie vermeiden können. Nachdenken über Geschichte ist immer selektiv, ebenso wie die Archivierung, die immer nur das erfaßt, was gerade für historisch bedeutsam gehalten wird. Die Fragen, die wir an die Geschichte haben, sind letztlich Fragen an die Gegenwart. Kriege und die Bilder vom Krieg waren immer Kristallationspunkte für Historie, wobei die Bilder vomKrieg und die Art ihrer Verbreitung einen wesentlichen Einfluß auf den Krieg selbst gehabt haben. Der erste Weltkrieg war nicht nur der erste Krieg, in dem eine Massenvernichtungsmaschinerie zum Einsatz kam, sondern auch der erste Krieg, in dem sowohl die Fotografie als auch das Massenmedium Zeitung erst- mals einen entscheidenden Stellenwert innehatten. In den Bildern vom Krieg offenbart sich die zeitgleiche Rezeption dieses Geschehens, in ihrem Umgang mit der Geschichte manifestiert sich die Gegenwart. Mit der anderen Seite der Musealisierung der Geschichte beschäftigt sich die zweite Arbeit dieser Ausstellung - eine Serie von Fotos von einer einzigen Vitrine mit Prunkgefäßen aus Bergkristall, Gefäße, die Zeugen sind vom Reichtum und der Kultiviertheit des österreichischen Herrscherhauses im 17. und 18. Jahrhundert, Zeugen von handwerklicher Geschicklich- keit und Kunstfertigkeit. Wieder geht es Leo Kandl um die Art der heutigen Präsentation, um dievitrine, in der die Gefäße dicht nebeneinander aufgereiht sind, und um den Blick, der auf die Vitrine fällt, der u. a. mit den verschiedenen Kamerapositionen nach- vollzogen wird. Es geht um optische Phänomene, um den Glanz und den Schimmer, der diese Gefäße kennzeichnet, um das Kristalline, das Erstarrte, das zu- gleich durchlässig ist, das durch das Licht lebendig wird, um die Abgeschlossenheit des Schauspiels in der Vitrine, um das Drinnen und Draußen. Im Gegensatz zur Arbeit über das Kriegsarchiv beruht dieses Werk auf einer raumzeitlichen Konzentration und einer detaillierten Analyse optischer Phänomene. Das Ephemäre der vielschichtigen Spiegelungen der Kristallgefäße in der Glasvitrine könnte als Metapher auf das Wesen der Fotografie gelesen werden, die ei- nen Schein der Wirklichkeit festhält, einen Schatten materialisiert, der immer wieder neu und anders gele- sen werden kann, je nach dem Beziehungsgeflecht, in dem er erscheint.

Edith Almhofer

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